Ein Nachdenken über Inklusion und Exklusion anhand der Geschichte des Theater Chaosium und des THEATERWAHN Festivals

Vor mehr als 25 Jahren begann die Theaterarbeit des Theater Chaosium (bzw. ihrer Vorläufer). Von Anfang an stand die Idee im Vordergrund, Menschen eine Kulturarbeit zu ermöglichen, die sonst von der Gesellschaft eher ausgeschlossen sind. In diesem Falle aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen. Aus der eigenen Erfahrung des Ausgeschlossen-Seins war die Gruppe selbst immer offen für alle Interessierten auch ohne Psychiatrie-Erfahrungen. Es sollte ganz klar kein Therapieangebot werden, sondern im Fokus stand immer das gemeinsame Theaterspiel und die Entwicklung von Bühnenproduktionen.

Man kann sagen, dass bestimmte Ideen die heute in Inklusionsforderungen auftauchen dieser Theaterarbeit schon immer eigen waren, weit bevor wir mit dem Begriff „Inklusion“ irgend etwas anfangen konnten.

Umgekehrt war diese Offenheit übrigens eher selten zu spüren und so waren die einzigen „Menschen ohne“ oft die Anleiter/innen und ab und an Praktikanten/innen aus dem Fachbereich Sozialwesen der Uni Kassel. – Das hielt niemanden ab weiter offen zu bleiben und so kamen mit der Zeit doch immer mehr Interessierte, die einfach Lust an der Theaterarbeit fanden, keine offizielle Diagnose mitbrachten aber eben auch keine besonders hohen Berührungsängste. – Von der Durchmischung hatten alle etwas. Jeder bringt unterschiedliche Stärken mit und alle profitieren davon. – Wieder ein Kriterium von Inklusion, gerade im Vergleich zur Integration. Die hohe Altersdurchmischung (von 18-66) bei Chaosium eine weitere Besonderheit, die wir gern mal vergessen, weil sie „natürlich gewachsen“ ist, auch dass manche Spieler/innen körperlich Behinderungen mitbringen und/oder eher aus dem Kreise der Menschen mit geistigen Behinderungen kommen (das eine schließt das andere ja nicht aus – Erkrankungen und Behinderungen sind oft wenig exklusiv).

Paradoxe Interventionen

Alles-Oper_136 Manchmal wird es merkwürdig, wenn man eine Stärke bemerkt, wenn ausgesprochen wird, was länger einfach passiert ist. Nachdem die Frankfurter Rundschau in Bezug auf die Theaterarbeit von Chaosium bemerkte „Das Besondere ist, dass niemand von etwas besonderem spricht“ haben wir bei Chaosium eine Weile angefangen von etwas Besonderem zu sprechen … das brachte uns das Gegenteil ein, gipfelnd in einem Artikel, in dem behauptet wurde, es gäbe bei Chaosium Spieler/innen die nachgewiesen psychisch gesund seien. – Wir fühlten uns unglaublich missverstanden und haben wieder seltener über das Besondere unserer Gruppe gesprochen, haben auch den Zusatz „von Menschen mit und ohne Psychiatrie- und Psychoseerfahrungen“ von unseren Plakaten und Werbepostkarten verbannt. (Ganz so klar in der Zeitabfolge war es sicher nicht, aber es vereinfacht die Darstellung der Entwicklungen). Er taucht nach wie vor auf in Gruppen(selbst)darstellungen, schließlich ist es ein wichtiger Aspekt der Selbstdefinition. Und gerade in den letzten Jahren hat sich Chaosium auch auf der Bühne den Fragen nach Normalität und Verrücktheit gewidmet.

Seit einigen Jahren nun kommt man am Begriff Inklusion nicht mehr vorbei – zum Teil löst er heftige Debatten aus.

Inklusion ist eine völkerrechtliche Aufgabe der UNO Behindertenkonvention und die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen.

Obgleich die Definitionen sich in Antragstexten entsprechend angepasst haben, weil es nun diesen Begriff gibt für das, was wir auch ohne denselben schon getan haben, benutzen wir ihn doch selten als Deklaration. Aus unserer Erfahrung heraus ist es gut, einfach das weiter zu machen was uns verbindet: Theater. Jede neue Deklaration birgt neue Unterscheidungsaspekte in sich und wirkt wie eine paradoxe Intervention.

Heraus aus den Nischen

Bei Diskussionen in Fachkreisen von Menschen, die Kulturarbeit mit Menschen mit Behinderungen machen, fällt auf, dass gerade im Bereich Theater die Psychiatrieerfahrenen eher eine Rand- oder Nischengruppe bilden. Auch bei „inklusiven Festivals“ finden wir selten Gruppen mit diesem Schwerpunkt.

erinnerungsspeicher Zum THEATERWAHN Festival haben wir nun eine sehr exklusive Auswahl an Theaterprojekten zusammengetragen, bei denen Menschen mit und ohne Psychiatrieerfahrungen gemeinsam auf der Bühne stehen. Damit wollen wir niemanden ausschließen, aber einen klaren Fokus setzen.

Unserer Gäste laden wir ein, drei Tage in Kassel zu verweilen, wir laden sie ein zu gemeinsamen Mahlzeiten, zu Workshops und Gesprächen auf Augenhöhe. Viele der Menschen, die wir einladen sind nicht gewöhnt, an fremden Orten herzlich empfangen und versorgt zu werden. – All das kostet Zeit und Geld und ist nicht immer üblich. Auch in diesem Sinne veranstalten wir gerne ein exklusives Festival!

Angst vor Menschen mit psychischen Krankheiten und die Diskriminierung derselben findet täglich statt. Obwohl ca. ein drittel der Bevölkerung schon in psychiatrischer Behandlung war (und ist) bleiben die Vorbehalte und Vorurteile der meisten bestehen.

Das THEATERWAHN Festival möchte ein deutliches Zeichen setzen gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Wir möchten den Blick weg vom einer defizitären Betrachtungsweise hin zu einer Resourcen-orientierten umleiten. Dies nicht mit erhobenen Zeigefinger, sondern mit dem was wir immer tun: Einer interessanten Theaterarbeit, in die sich jeder ungeachtet seiner Vorgeschichte, seiner psychischen, geistigen oder körperlichen Verfassung einbringen kann.